Die Ruine ist ein unbestimmbares Fragment, schwankend zwischen Todessehnsucht und Dauerhaftigkeit, entzieht sich unserem Verständnis. Als Verkörperung der Différance steht sie unentschieden zwischen den Dingen und verschiebt sich aufgrund unserer Versuche, sie festzulegen. Indem wir sie als Träger von Diskursen betrachten und uns so weit wie möglich von Ruinenlust, der Faszination des Verfalls entfernen, glauben wir einen Zugang zu finden, der das Offensichtliche und Sentimentale meidet. Erst durch diesen Umweg kann eine Sichtweise entstehen, die nicht nur das Objekt in den Blick nimmt, sondern auch die Ambiguität, die es auslöst. Begriffe wie Gegenwart und Vergangenheit, Natur und Kultur, Erinnerung und Bewusstsein, Klarheit und Verklärung, Gedanke und Wahrnehmung werden unscharf und überlagern sich. Es eröffnen sich neue Möglichkeiten mit ihnen umzugehen, sie selbst als Möglichkeit zu betrachten. Ein Bewusstsein abseits linearer historischer Narration scheint auf, die Ruine reflektiert ihren Zerfall und verunklart ihren Zustand. Unsere Faszination der Ruine wird zu einer Faszination des Zerfalls von Ideen. Die Abwesenheit von Sinn nicht als Verlust, als Mangel, als Unsicherheit zu begreifen, sondern diese Konnotationen umzudeuten, darin liegt das subversive und konstruktive Potential der Ruine.
HORIZONTE Nr. 9 versucht diese dialektischen Beziehungen zu untersuchen, Perspektiven zusammenzufügen und ein Bild entstehen zu lassen, das Zweifel erzeugt und die Frage offen lässt, ob am Ende mehr bleibt als das Bild der Ruine.